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ein Film von Romed Wyder

Mehr als eine Frage des Gewissens

von Irene Genhart

www.landbote.ch

«Dawn»: Der Schweizer Romed Wyder hat einen Roman von Elie Wiesel in ein fein tariertes filmisches Kammerstück verwandelt. Joel Basman überzeugt darin als blutjunger Widerstandskämpfer.

Er hat – als Einziger seiner Familie – das KZ überlebt. Er ist 19-jährig, Jude und wie so viele irgendwie furchtbar heimatlos im Nachkriegseuropa der späten 1940er-Jahre. Sodass es, stellt man sich während der Sichtung von «Dawn» vor, für den zwölf Jahre älteren Gad (Liron Levo) und seine französische Geliebte Ilana (Sarah Adler) ein Leichtes gewesen sein muss, Elisha (Joel Basman) in Paris für sich und ihre Idee zu gewinnen: die Gründung des Staates Israel. Man sieht solches im Film von Romed Wyder nicht ausformuliert, sondern in Erinnerungsfetzen:

Der Film des Westschweizers beruht lose auf Elie Wiesels 1960 erschienenem Roman «L’aube», der sich seinerseits auf historische Ereignisse bezieht. Er entwickelt seine Handlung binnen weniger Stunden anno 1947 in Palästina. Hier verbringen vier Männer, die dem bewaffneten jüdischen Untergrund angehören, eine Nacht in einem Haus, in dem tagsüber Neuzuzüger Hebräisch lernen. Elisha ist der Jüngste des Quartetts und zum ersten Mal dabei. Nach einer Weile – nachdem sie am Radio deren Forderung verlesen hat – stösst Ilana zu den Männern.

Die Geisel im Keller

Die vier halten im Keller eine Geisel: den britischen Offizier John Dawson (Jason Isaacs). Gekidnappt haben sie Dawson, weil die Briten einen ihrer Kameraden zum Tod am nächsten Morgen verurteilt haben. Sie hoffen, die beiden gegeneinander austauschen zu können. Die Verhandlungen laufen. Doch das Warten ist endlos. Bisweilen klingelt das Telefon dreimal, dann schweigt es wieder. Ein Zeichen, mehr nicht. Manchmal stellt einer das Radio an. Einige Takte Musik, mit etwas Glück irgendwo ein Nachrichtensprecher. Wenig dringt von der Welt draussen hinein in dieses Haus, in dem die Zeit tropft. Draussen herrscht Totenstille: Ausgangssperre. Einmal versucht Elisha abzuhauen. Gad geht ihm nach. An der Strassenecke liegt eine Leiche, ein Hund daneben. Gespenstisch werfen die Suchlichter der britischen Patrouillen Schatten an die Wände des Hausgangs, in dem Gad und Elisha sich an die Wand drücken.

Beklemmend ist das in der Stimmung, wie überhaupt «Dawn» – fein gespielt, scharf durchdacht, subtil verflochten – als Ganzes irgendwie beklemmend ist. Weil es kein Entkommen gibt aus dieser Nacht, in der Elisha seine letzte Initiation als Widerstandskämpfer – Rebell, Freiheitskämpfer, oder wie immer man das bezeichnen will – erfährt. Denn der Deal, der läuft, lautet: ein Leben für ein Leben.

Elishas erster Toter

Im Fall des Falles muss einer der vier Dawson ermorden. Und das soll – muss einer inneren Logik oder einfach der Dynamik der Si­tua­tion zufolge – Elisha sein. Weil er, wo die anderen ihre ersten Toten längst hinter sich haben und dar­über zu erzählen wissen, seinen Willen für den Kampf, seine Bereitschaft zum vollen Einsatz für den künftigen Staat Israel noch beweisen muss.

Doch einfach ist das nicht. Denn Elisha ist kein geborener Mörder, wie wohl überhaupt kein Mensch zum Morden geboren ist, doch diese Diskussion führt hier zu weit. Elisha hat die Gräuel des KZ hinter sich. Er hat die Eltern, seine Verwandten, Bekannten, sein Leben, wie er es bisher kannte, im Krieg verloren. Die Eltern geistern in seiner Vorstellung als Gespenster durch die dunklen Korridore des Hauses, durch die Elisha gehen muss, um Dawson im Keller Essen zu bringen, die Hände zu fesseln, um dessen letzten Brief an Sohn und Frau niederzuschreiben. «Töte für die Sache, die Idee», sagt einer der vier zu Elisha. «Töten für die Liebe vielleicht», antwortet Elisha.

Es sind dies grosse Momente in diesem kleinen und feinen Kammerspiel von Wyder, in dem Basman – zwei Jahre jünger als heute, wo er für seinen Auftritt als Neonazi in Burhan Qurbanis «Wir sind jung. Wir sind stark» eben den deutschen Nebendarsteller-Filmpreis erhielt – bereits beweist, dass er ein grossartig talentierter Schauspieler ist, und glaubhaft vorführt, wie ein junger Mann, ein Kind fast noch, zum Mörder wird. Stark. Ein starker Auftritt in einem Film, der in stringenter Reduktion der Handlung über seine klare historische Verortung hinaus gerade heute brennend aktuelle, universelle Fragen aufwirft.